Carsten Dippel – Das vergessene Pogrom von Bagdad

Jüdische Gemeinde mit langen historischen Wurzeln: In Bagdad war rund ein Fünftel der Bewohner in den 1920er-Jahren jüdisch. (akg-images / Collection Dupondt) Source: Deutschlandfunk Kultur

Deutschlandfunk Kultur – Seit sechs Jahren gibt es einen internationalen Gedenktag an den Farhud. Doch nur wenige kennen das Pogrom von Bagdad, das die mehr als 2500-jährige Geschichte jüdischen Lebens im Irak beendete.

Salima Murads Stimme war in der arabischen Welt bekannt. Salima Murad war Jüdin, verheiratet mit einem Muslim. Im alten Irak war das möglich. Noch in den 1920er-Jahren machte die jüdische Bevölkerung Bagdads gut ein Fünftel der Bewohner aus. Tür an Tür lebten seit Jahrhunderten Juden und Muslime zusammen.

Doch dann brach im Kriegsjahr 1941 etwas über die jüdische Gemeinde herein, das niemand kommen sah: der Farhud. Am 1. und 2. Juni tobte binnen 30 Stunden ein Mob im jüdischen Viertel Bagdads. Muslime schlugen auf ihre jüdischen Nachbarn ein. Sie plünderten Geschäfte, vergewaltigten Frauen, töteten mindestens 130 Menschen, manche sprechen von mehreren Hundert.

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Rabbi Sasson Kadouri war ein hoch angesehener Mann. Der langjährige Oberrabbiner von Bagdad blieb bis zu seinem Tod 1971 bei seiner Gemeinde, die er nicht im Stich lassen wollte. Sein Enkel, der Künstler Joseph Sassoon Semah, wuchs in Israel auf und hatte nie eine Chance, seinen Großvater kennenzulernen. Aber die Geschichte seiner Familie spiele für ihn als Künstler eine wichtige Rolle, sagt Semah.

Semahs Eltern haben über ihr Leben im Irak kaum gesprochen. Im zionistischen Staat habe ihr Narrativ lange Zeit keinen Platz gefunden, beklagt er. So sei es nicht erwünscht gewesen, ihr arabische Muttersprache zu hören. Eine Stimme, wie die der Sängerin Salima Murad, sucht man im israelischen Radio vergeblich.

„Es war in einem rechtlichen Sinne nicht verboten. Aber Schande über Dich, wenn Du Arabisch sprachst“, berichtet Semah. Dies zeichnet auch der Historiker Dan Diner in seinem jüngsten Buch „Der andere Krieg“ nach:
„Die babylonische, die Bagdader, die irakische Judenheit und die jüdische Heimstätte waren einander eigentlich fremd geblieben. Die zwischen ihnen liegende Syrische Wüste markierte ein sowohl faktisches wie mentales Hindernis.“

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